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Die Ukraine

Nov. 2014

Was sagen die Ukrainer zur Krise?

Ich bin kein Ukraineexperte, ich bringe jedoch Eigenschaften mit, die nur wenige Experten aufbringen können. Denn ich bin Halbukrainer - Papa Deutscher, Mama Ukrainerin. Als Kind bin ich in der DDR geboren und groß geworden. Ebenfalls habe ich auch 2 Jahre in der Sowjetunion gelebt. Daher spreche ich fließend Russisch und Deutsch. Ukrainisch zu sprechen war für mich nie nötig - ich kann es auch nicht - gerade einmal verstehen wenn ich mich auf ein Gespräch konzentriere. Diskriminiert wurde ich in der Ukraine deswegen aber nie.
Jeden Sommer verbringe ich einige Woche bei meinen Großeltern und Verwandten in Krementschuk. Die Industriestadt Krementschuk liegt am Fluss Dnjepr zwischen Kiew und Dnipropetrowsk. Anhand der Präsidentenwahlergebnisse in Krementschuk kann man sehen, dass die Bevölkerung zu 50 Prozent nach Europa und der andere Teil nach Russland ausgerichtet sind.

Mit dem Beginn des ukrainisch-russischen Krieges im April 2014, wollte ich verstehen wie es so weit kommen konnte und habe begonnen eigene Nachforschungen anzustellen. Mit Fragen für die Ukrainer bepackt, reiste ich im August 2014 wieder nach Krementschuk. Vor Ort konfrontierte ich um die 50 Personen mit Fragen, die mich besonders interessierten. Auf diese Weise konnte ich mir ein wesentlich besseres Bild darüber machen, was ein Ukrainer zu der aktuellen Situation im eigenen Land denkt.

Zur Erinnerung: Worum ging es eigentlich nochmal im Ukraine Konflikt?

Der nach Russland ausgerichtete Janukowitsch unterschrieb nicht den EU-Assoziierungsvertrag. Das brachte vor allem die Kiewer Studierenden auf die Straße, die anfingen auf dem Maidan zu demonstrieren. Das gefiel Janukowitsch nicht und schlug die Demos gewaltsam nieder. Das brachte noch mehr Leute auf die Straßen und Janukowitsch ließ über 100 Leute auf der Straße erschießen. Plötzlich mischt sich Russland ein. Grüne Männchen belagern die Krim und annektieren sie schließlich. Plötzlich wollen Separatisten die Unabhängigkeit der Ostukraine und führen ein fragwürdiges Referendum durch. Dann wird Poroshenko als neuer Präsident in der Ukraine gewählt und lässt die von den Separatisten besetzten Gebiete durch die ukrainische Armee zurückerobern. Dann wurde auch noch eine Passagiermaschine, MH17, auf dem von den Separatisten besetzten Gebiet abgeschossen und immer mehr, mischten auch noch russische Soldaten im mittlerweile russisch-ukrainischen Krieg mit.

Will jeder Ukrainer in die EU?

Die Frage ist schwer zu beantworten. Meine Großeltern sagen: "Wozu brauchen wir die EU?" Und damit ist ganz stark der Verdruss darüber gemeint, dass bereits September 2013 die Aufträge in Krementschuk von russischer Seite aus gekündigt worden sind. "Ihr wollt doch nun in die EU" wurde von russischer Seite ausgerufen.
Nun muss man sehen, dass Krementschuk eine Industriestadt ist, die vom Export, vor allem nach Russland, lebt. Die Produktion von Wagons und Baustellenfahrzeugen, eine Erdölraffinerie, ein Stahlwerk und der LKW "KrAZ" sind die Exportschlager der Stadt - vor allem nach Russland - gewesen. Nun sind viele Arbeiter dort beurlaubt, denn neue Aufträge gibt es aus Russland nicht. Und für neue Handelspartner in der EU müssen andere Standards eingehalten werden, man muss neben Russisch und Ukrainisch noch eine weitere EU-Sprache lernen um Verträge abschließen zu können und letztlich muss man überhaupt erst einmal neue Kunden in der EU finden. Es ist also ein Prozess der viel auf Eigeninitiative beruht und nicht von alten Bekanntenstrukturen lebt.

Spreche ich mit Jugendlichen zwischen 18 und 30 Jahren, so sieht die Sichtweise zur EU ganz anders aus. Viele kennen als Zweitsprache Englisch oder Deutsch und sparen ihr erstes großes Geld, um eine Reise in die EU unternehmen zu können. Sie sind hochmotiviert und sind innerlich davon überzeugt einen neuen demokratischen freien ukrainischen Staat, ohne Korruption, aufbauen zu wollen und zu können.

Was kann man nun abschießend sagen? Eine ältere Generation, die noch in der Sowjetunion aufgewachsen ist, tut sich sichtlich schwerer sich mit der EU zu arrangieren. Veränderungen sind für den Menschen schon immer schwer gewesen. Die junge Generation bringt den eigentlichen frischen Wind und die Ausrichtung zur EU. Und letztlich sollte sich doch ein Staat immer an der jungen Generation ausrichten, denn der Staat wird unweigerlich das Erbe für sie.

Die Westukraine will in die EU, die Ostukraine nicht

Ich hörte von jemandem ein interessantes Zitat: "Die Westukrainer wollen, dass es ihnen besser geht. Die Ostukrainer wollen, dass es ihnen nicht schlechter geht."

Wie kommt es zu so einer gegensätzlichen Aussage? Um das zu verstehen, muss man erst einmal wissen, dass das Einkommen in der Ukraine sehr niedrig ist. Ein Handwerker verdient umgerechnet 300 Euro im Monat. Meine Oma erhält um die 1.200 ukrainische Griwni Rente im Monat. Beim aktuellen Umrechnungskurs von 17:1 sind das 71€. Einheimische Produkte sind relativ günstig: 25 Cent für ein Brot, 2€ für 200g Salami, aber 1€ für Benzin. Importierte Güter sind relativ teuer. Ich hoffe, dass sich jeder vorstellen kann, dass die Bevölkerung dort keine großen Sprünge machen kann. Was tut ein also Ukrainer, der auch mal verreisen möchte? Er nimmt eher sein Auto!

Jemand der in der Westukraine wohnt wird mal nach Polen, Slowakei oder Ungarn reisen. Er sieht, wie ehemalige Warschauer Pakt-Staaten sich aufgerappelt haben und unter der EU ihren Lebensstandard erhöhen konnten. Mit diesem Wissen kehren die Westukrainer zurück und merken, dass sie ein besseres Leben haben können.
Ein Ostukrainer wird eher innerhalb der Ukraine bleiben, mal ans Schwarze Meer oder auch nach Russland fahren. Da er keine großen Änderungen zu seiner Heimat sieht, denkt er sich viel eher: "Wir möchten, dass es uns nur nicht schlechter geht." Und auf diese Weise ist der Drang der Westukrainer viel größer sich der EU zuzuwenden. Sie sehen, dass je weiter sie in den Westen reisen, umso wohlhabender sind die Menschen.

Ein Vergleich zwischen Polen und der Ukraine

Ukraine wird gern mit Polen verglichen. Verständlich, denn beide Länder verbindet eine enge Kultur, Politik und Wirtschaft. Beide wurden im 2. Weltkrieg komplett durch das Deutsche Reich eingenommen und schwer gebeutelt.
Bereits vor dem Beitritt Polens in die EU zog die Wirtschaftsleistung in Polen stark an. Heute verdienen Polen im Durchschnitt das Dreifache von dem was sie noch vor 15-20 Jahren verdienten. Der soziale Aufstieg machte auch die Russen auf Polen aufmerksam, was Putin leider gar nicht gefiel. Der Wohlstand in einem umliegenden Nachbarland brachte die russische Politik in Erklärungsnot. Was ist, wenn nun auch die Ukraine unter dem Schirm des EU-Assoziierungsabkommens sozial aufsteigt? Das würde eine wahre Erosion in Russland auslösen: "Was? Wie kann das sein, dass es der Ukraine nun besser als uns Russen geht?" In diesem Moment würde das ganze politische System in Russland einstürzen.;
Die Lösung für Putin zu diesem Problem ist also ganz klar: Die Ukraine mit Kriegen und innerpolitischen Problemen schön niedrig halten, sodass es der Ukraine immer schlechter als der russischen Bevölkerung geht. Und schon denken die Russen: "Uns geht es immerhin besser als den Ukrainern."

In der Ukraine soll ukrainisch gesprochen werden

Ja so eine Phase gab es in der Tat in der Ukraine - für eine kurze Zeit. Im September 2013 hieß es in dem ukrainischen Elektrofachgeschäft COMFY (in dem meine Großcousine arbeitet): "Ab morgen beraten wir unsere Kunden nur noch auf Ukrainisch und sprechen selber nur noch Ukrainisch."

Da mussten selbst die Verkäufer/-innen im Laden erst einmal schlucken, denn die meisten sind es gewohnt auf Russisch zu sprechen. Nun muss man sagen, dass der Chef der Ladenkette ein Westukrainer und sicherlich auch Patriot ist, der die ukrainische Kultur sehr pflegt. Scheinbar kam die gesamte Idee bei den Kunden sehr schlecht an, sodass nach bereits einer Woche alles wieder seinen gewohnten Gang ging und man wieder Russisch redete. Die Masse hat sich durchgesetzt. Ich weiß nun nicht, ob es solche Maßnahmen auch in anderen Gebieten der Ukraine gab. Allerdings schien auch Putin diese Angelegenheit mitbekommen haben, denn diese Information wurde später in der russischen Propaganda genutzt. Die Begründung lautete von nun an, dass Ukrainer die Russen diskriminieren.

Zusammengefasst war dieser "Ukrainisch-Sprechzwang" eine Dummheit, den viele Ukrainer bereut haben.

Banderen - Die Faschisten der Ukraine?

Als 15 slawische Länder um 1922 herum zur Sowjetunion zusammengeführt wurden, wehrte sich auch die Ukraine gegen diese Aktion. Und dennoch wurde sie in die Sowjetunion eingegliedert. Der größte Widerstandskämpfer, Stepan Bandera, kämpfte im zweiten Weltkrieg mit den deutschen Nationalsozialisten zusammen und erhoffte sich dadurch die Unabhängigkeit der Ukraine zu erlangen. Doch zuerst marschierten die Deutschen in der kompletten Ukraine ein und nach Kriegsende war die Ukraine wieder sowjetisch.
Bandera wird heute von vielen Westukrainern als Held gefeiert, in der Ostukraine, Polen, Israel und Russland wird er als Verräter diffamiert. Wie auch immer man die Sache betrachten möchte, frage ich mich, ob man pauschal die Westukrainer als Faschisten bezeichnen darf, bloß weil sie eine Person verehren, die für die Freiheit der Ukraine gekämpft hat.

Ich meine: Wagner wird auch als Komponist verehrt, obwohl viele sagen, dass er keine gute Einstellung zu Juden hatte. Michael Jackson ist auch der "King of Pop" obwohl er unter Verdacht des Kindesmissbrauchs stand. Wir alle haben halt mehr oder weniger gute und schlechte Seiten an uns, oder?

Die Krim war schon immer russisch

Wer die Krim besucht hat, der kennt die griechischen Ruinen, die auf der Krim um Sevastopol herum stehen. Weitere Gebäude zeigen, dass auch das osmanische Reich bis zur Krim reichte. Wenn also ein russischer Bürger sagt, dass die Krim schon immer russisch war, dann ist er entweder geschichtlich nicht aufgeklärt oder sieht nur das, was er sehen will.

Warum annektiert Russland die Krim?

Für Putin ist es ein Horrorszenario wenn jemals die NATO-Flagge auf der Krim hängt. Zwar hatte die Ukraine 2010 einen Knebelvertrag, wonach die russische Schwarzmeerflotte bis 2042 (!) auf der Krim bleiben könne, unterschrieben und die Ukraine solange kein NATO Land werden darf, doch die Krise und das Absägen Janukowitschs führten dazu, dass Putin kurzerhand die Krim annektierte. Vor allem strategisch ist die Krim und Sevastopol für Putin wichtig, denn der Meerzugang in diesem Gebiet ist auch im Winter nahezu eisfrei.

Warum will Putin die Ostukraine?

Der Osten der Ukraine ist mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Industriestandort geworden. Selbst Westeuropäer investierten gern in diese Region. Vor und nach dem zweiten Weltkrieg entstanden in der Ostukraine viele Fabriken für die Rüstungsindustrie. Mit dem Zerfall der Sowjetunion befanden sich diese plötzlich auf ukrainischem Boden. Zwar wurde dank russisch-ukrainischer Verträge Militärtechnik weiterhin für Russland hergestellt und ausgeliefert, doch mit der ukrainischen EU-Ausrichtung könnten die Fabriken die Produktion von Militärtechnik für Russland einstellen. Der Bau solcher Fabriken auf russischem Boden würde jedoch Jahre dauern - das russische Militär wäre geschwächt. Aus diesem Grund wäre es folgerichtig für Putin die Ostukraine zu besetzen oder die Fabriken zu demontieren und nach Russland zu schaffen.

Ukraine in die Nato?

Da nun die Krim von Russland annektiert wurde, hat im Gegenzug Arseni Jazenjuk angekündigt den blockfreien Status der Ukraine aufzuheben. Damit strebt nun die Ukraine die Aufnahme in die NATO an. Letztlich sollte jedes Land frei entscheiden können in welche Organisation es eintritt und sollte sich von keinem Nachbar knebeln lassen.

Wieso darf die Ukraine nicht in die Nato?

Als sich die "Siegermächte über Deutschland" 1989 zusammentrafen, um über eine mögliche Wiedervereinigung zwischen BRD und DDR zu beraten, wurde von russischer Seite gesagt: "Wir stimmen für die Wiedervereinigung unter der Bedingung, dass kein weiteres europäisches Land in die NATO eintritt." Seit 1989 sind jedoch über 12 neue europäische Länder in die NATO eingetreten. Russland wurde also gleich 12 mal vor den Kopf gestoßen. 1991 erlangte die Ukraine ihre Unabhängigkeit, 1997 kam es zu einem Partnerschaftsvertrag zwischen der NATO und der Ukraine und 2005 wollte der damalige Präsident Juschenko eine NATO-Mitgliedschaft erwirken. Nach mehrfachen Drohungen aus Russland, lehnte die NATO die NATO-Aufnahme der Ukraine 2008 ab. 2010 unterschrieb die Ukraine einen neuen Pachtvertrag mit Russland für die Beibehaltung der russischen Marineflotte auf der Halbinsel Krim und verpflichtete sich bis zur Aufhebung des Pachtvertrags 2042 nicht der NATO beizutreten. Seit dem ukrainisch-russischen Krieg und der Annektierung der Krim laufen die Gespräche über die Aufnahme wieder.

Was könnten die Amerikaner in der Ukraine wollen?

Schwer ist es derzeitig Informationen zu erhalten, was die Amerikaner eigentlich in der Ukraine wollen. Zwar wirft Russland vor, dass die Amerikaner die Maidanbewegung finanzierten, doch wenn es um die Gründe für die Interessen der Amerikaner in der Ukraine geht, wird es still. Was sind mögliche Gründe? Militärische Stützpunkte zur russischen Grenze? Vielleicht? Monsanto, Fracking und Wasserprivatisierung? Vielleicht auch das. Das sind aber auch alles Themen, die wir auch in Deutschland an der Tagesordnung haben. Was sind also die wirklichen Gründe der Amerikaner? Ich kenne sie noch nicht.

Ich hoffe, dass ich euch einen Einblick in die Gefühlswelt der Ukrainer geben konnte. Ich habe weder eine Analyse betrieben, noch eine Statistik erstellt. Ich habe mich einfach zu Leuten auf die Parkbank gesetzt oder auf ein Eis eingeladen und mir angehört, was mir die Menschen zu erzählen haben. Das ist viel mehr wert als jede Pressemitteilung - denn es ist echt.